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Ich bin Barbara Beckhaus. Von Anfang 1972 bis zum Frühjahr 1975 hatte ich gemeinsam mit der amerikanischen Lehrerin Frau Ramona Smith, den Auftrag, in der neugegründeten Deutschen Schule Singapur die Unterrichtsarbeit zu gestalten und das methodische und didaktische Konzept der jungen Schule mit zu entwickeln. Ab Februar 1973 war ich offiziell die erste Schulleiterin der Deutschen Schule Singapur, und es gelang mir mit meinem Lehrer- und Fachlehrerteam mit unserer Aufbauarbeit schon nach knapp drei Jahren die Anerkennung der Bundesregierung und der Kultusminister-Konferenz der deutschen Bundesländer als Deutsche Auslandsschule zu erarbeiten.
Warum waren Sie damals in Singapur?
Im August 1971 wurde meinem Ehemann angeboten für die deutsche Firma, in der er tätig war, als Technischer Leiter und Managing Director in das im Aufbau befindliche Zweigwerk in Singapur zu wechseln. Zur gleichen Zeit gab es in Singapur ernsthafte Bestrebungen eine Deutsche Schule zu gründen. Deutsche Lehrkräfte lebten damals noch nicht in Singapur. So kam es, dass mir die Frage gestellt wurde, ob ich daran interessiert sei, an der Schule zu unterrichten und am Aufbau des methodischen und didaktischen Konzeptes der Schule mitzuwirken. Ich sagte spontan zu und freute mich sehr auf meine zukünftigen Aufgaben.
Wie war die Situation 1972 in Singapur?
Das damalige Singapur ist mit dem heutigen Singapur in fast jeder Hinsicht nicht zu vergleichen. Erst seit sieben Jahren war Singapur 1972 ein selbständiger Stadtstaat, der noch zu den Entwicklungsstaaten gezählt und auch noch zum „Zollpräferenz-System für Entwicklungsländer“ der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörte. Dass Singapur einmal zu einem international bedeutsamen Finanz-, Industrie- und Wissenschaftszentrum werden würde, hat in diesen Jahren des Aufbruchs kaum jemand gedacht. Die Regierung von Lee Kuan Yew war jedoch schon damals sehr bemüht und auch sehr erfolgreich ausländische Investoren, auch aus Deutschland, in den Inselstaat zu holen. Und das führte dann eben bald auch zu der Notwendigkeit eine Deutsche Schule zu gründen.
Welche schulischen Optionen gab es damals für SchülerInnen aus Deutschland?
Deutsche Kinder in Singapur konnten bis Januar 1971 in der Schweizer Schule und in der International School aufgenommen werden. Als die Schweizer Schule, bei der noch Ende 1970 mehr als 80 deutsche Schüler unterrichtet wurden, beschloss, dass sie aus Kapazitätsgründen keine weiteren deutschen Schüler aufnehmen könne, wurde es dringend notwendig eine eigene Schule zu gründen, weil die deutsche Gemeinde in Singapur stetig wuchs. Allein die Firma, für die mein Ehemann im Singapur-Zweigwerk verantwortlich wurde, beabsichtigte, viele deutsche Familien mit schulpflichtigen Kindern nach Singapur zu schicken. Und so war es auch nur folgerichtig, dass der erste Präsident der Vereinigung Deutsche Schule Singapur der kaufmännische Kollege meines Ehemannes war. Und auch der langjährige Schatzmeister des Deutschen Schulvereins war der Finanzchef dieser Firma.
Wie kam es dann zur Eröffnung der ersten Deutschen Schule?
Von der plötzlichen Notlage, dass die Schweizer Schule plötzlich für deutsche Kinder keine Option mehr sein konnte, waren vor allem die Kinder eines deutschen Managers einer amerikanischen Firma betroffen. Dieser Manager engagierte deshalb die fließend deutsch sprechende amerikanische Lehrerin Frau Ramona Smith, um seine Kinder zu unterrichten. Frau Smith betreute dann etwas später, ab ca. August 1971, im Auftrag des Deutschen Schulvereins noch weitere Kinder deutscher Familien im Privathaus einer dieser Familien und wartete nun gespannt auf die angekündigte Unterstützung durch meine bevorstehende Ankunft in Singapur in der ersten Januarwoche 1972.
Nun war es allerdings so, dass ich damals schwanger war und erst nach der Geburt meines Sohnes als Verstärkung zur Verfügung sein wollte. Doch dann kam alles ganz anders.
Wir wohnten noch im Oberoi Imperial Hotel in der River Valley Road als Frau Smith mich freudig aufsuchte und um Unterstützung bat. Sie musste für sieben Schüler, die sie im Januar 1972 unterrichtete, Zeugnisse schreiben und war sehr froh von mir erfahren zu können, wie so etwas in Deutschland formal formuliert wird. Außerdem bat sie, mit mir die Leistungen der Schüler im einzelnen zu beleuchten, um eine gerechte Beurteilung nach deutschen Maßstäben zu erarbeiten. Nach den langen Gesprächen, die ich mit Ramona Smith führte, und nachdem ich die Zahl der angemeldeten Kinder für die geplante Vorschule und den Kindergarten erfahren hatte, die sich anschickten, in das erste zur Verfügung stehende kleine Schulgebäude an der Jalan Kampong Chantek einzuziehen, sobald dieses bezugsfähig würde, musste ich mich entscheiden, sofort nach Eröffnung dieses ersten Schulhauses im Februar 1972 mit dem Unterricht zu beginnen. Frau Ramona Smith konnte das allein gar nicht schaffen. Deshalb beschlossen wir sogleich die Sommerferien so zu terminieren, dass durch den voraussichtlichen Geburtstermin meines zweiten Kindes möglichst wenig Unterrichtszeit verlorengehen würde.
Die ersten SchülerInnen der neuen Schule Im Klassenzimmer Frau Beckhaus mit den ersten SchülerInnen
Wo war das erste Schulgebäude und wie waren die Bedingungen?
Unser erstes Schulhaus war eigentlich ein Wohnhaus in der Jalan Kampong Chantek, das für unsere Zwecke eingerichtet wurde. Das war aber nicht ganz so einfach wie wir so etwas in Deutschland gewohnt waren. Man konnte nicht einfach eine Firma suchen, die Schulmöbel, Wandtafeln und was sonst noch so in einer Schule benötigt wurde, im Angebot hatte und kurzfristig zu liefern in der Lage war, sondern es musste alles von örtlichen Handwerkern nach den Angaben des Schulvereins angefertigt werden. Die handwerkliche Qualität war sehr gut, benötigte jedoch eine längere Beschaffungszeit. Frau Smith konnte zwar schon in der zweiten Januarwoche mit ihren bisherigen Schülern in einen der Räume zum Unterricht einziehen, doch die endgültige Fertigstellung zog sich bis zum 21. Februar hin. An diesem Tage begann auch ich dann an der Deutschen Schule zu unterrichten.
Wie viele Schüler hatte die Schule damals zu Beginn?
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wieviele Schüler, Vorschüler und Kindergartenkinder schon ganz zu Anfang beim Einzug in der Jalan Kampong Chantek Ende Februar 1972 dabei waren. Ein halbes Jahr später, im Herbst 1972, waren es aber nach meiner Erinnerung schon ungefähr 40 Kinder und es war dann auch schon absehbar, dass die Räumlichkeiten in diesem ersten Schulhaus schon ein paar Monate später zu klein sein würden. Es musste also dringend Abhilfe geschaffen und eine neue Bleibe gefunden werden. Das gelang auch schon bald und ein halbes Jahr später, am 24. Februar 1973 konnten wir in ein sehr viel größeres, älteres Haus im Kolonialstil in der Chatsworth Road einziehen, das nach sorgfältiger Planung durch den Bau-Ausschuss des Deutschen Schulvereins in Zusammenarbeit mit einem lokalen Achitekturbüro für unsere Zwecke umgebaut worden war. Außerdem wurde auf dem großen Grundstück des Hauses noch ein Pavillon mit zwei weiteren geräumigen Klassenzimmern errichtet. Zum Zeitpunkt des Umzuges hatte sich die Zahl der zu betreuenden Kinder in den Schulklassen 1 bis 4, sowie Vorschule und Kindergarten auf ca. 70 erhöht.
Eröffnungsfeier des Chatsworth Campus im Februar 1973
Was waren die die großen Herausforderungen damals?
Zunächst war für uns, also für Frau Ramona Smith und mich, die größte Herausforderung, dass für uns alles neu war. Wir waren zunächst die Einzigen, die für die Organisation des Lehrbetriebes der Schul- und Vorschulkinder und die Betreuung der Kindergartenkinder zur Verfügung standen. Erst im Juli 1972 kam die Fachlehrerin für Sport und Werken, Frau Fredrich, hinzu und ab Dezember 1972 erhielten wir eine besonders wichtige Verstärkung für den stark wachsenden Kindergarten durch die einheimische Kindergärtnerin Mrs. Sim. Eine weitere ausgebildete Lehrerin für Grund-, Haupt- und Realschule, Frau Radke, kam erst im März 1973 in unser kleines Team, und im selben Jahr kamen auch noch eine weitere Fachlehrerin für Musik, Frau Pachali, sowie die deutsche Kindergärtnerin, Frau Weber, hinzu. Erst im Jahre 1974 erhielten wir eine besonders wertvolle Verstärkung durch die Gymnasiallehrerin Frau Dr. von Uexküll, die auch noch in den ersten Jahren nach der staatlichen Anerkennung der Schule, als dann schon ein von der Bundesregierung entsandter Schulleiter die pädagogische Verantwortung übernahm, weiterhin als stellvertretende Schulleiterin unsere gemeinsame Aufbauarbeit weiterführte.
Aber in der Anfangszeit war es für Frau Ramona Smith und mich besonders herausfordernd, selbst herauszufinden, was von uns erwartet wurde und was wir zu leisten haben, wenn wir das hochgesteckte Ziel, in möglichst kurzer Zeit die Anerkennung als Deutsche Auslandsschule erreichen wollten. Wir waren ja beide Lehrerinnen, die zwar ausreichende Erfahrung darin hatten, Schulkinder zu unterrichten, aber wir waren völlig unerfahren, wie man ein pädagogisches und didaktisches Konzept für eine Auslandsschule entwickelt. Zum Glück fanden wir dabei aber hervorragende Unterstützung bei der Deutschen Botschaft. Es mussten ja die Lehrpläne aller deutschen Bundesländer beschafft und studiert werden, damit wir unsere Stoffverteilungspläne so gestalten konnten, das der Übergang unserer nach Deutschland zurückkehrenden Schüler und Schülerinnen in alle unterschiedlichen Schulsysteme der Deutschen Bundesländer reibungslos möglich würde. Schulbücher mussten in Deutschland beschafft werden, und auch dabei mussten die in allen Bundesländern empfohlenen Schulbücher ebenfalls ausreichend berücksichtigt werden.
Wie wurde die Schule finanziert?
Darum habe ich mich im Detail nicht kümmern müssen, das war die Angelegenheit des Schatzmeisters der Vereinigung Deutsche Schule. Aber ich weiß, dass die wichtigste Finanzierungsquelle das zu zahlende Schulgeld war, und das wurde wohl meistens von den Firmen getragen, bei denen die Väter unserer Kinder angestellt waren. Ich erinnere mich auch daran, dass mir der Deutsche Botschafter Dr. Löhr einmal erzählte, dass auch die Bundesregierung schon in den ersten Jahren einen namhaften Betrag zur Verfügung gestellt hat. Außerdem gab es natürlich auch von den deutschen Firmen und Banken in Singapur und auch von Privatpersonen Spendenhilfen.
Was sind Ihre prägendsten Erinnerungen?
Ganz Singapur war in den Jahren, als ich dort leben und arbeiten durfte, von einem nahezu überwältigenden Pioniergeist geprägt. Und das gilt auch für die deutsche Gemeinde, von der wir in der Schule alle Unterstützungen erhielten, die wir benötigten.
Ich erinnere mich, wann immer wir Schulausflüge machen wollten, z.B. in den Zoo oder in den Birds Park oder mit dem Kindergarten an den Changi Beach, waren immer sofort freiwillige Helfer zur Stelle.
Besuch im Zoo Saubermachen für den Einzug in das neue Schulgebäude
Als wir – ich glaube es war 1973 oder 74 – an den Bundes-Jugend-Spielen nach deutschem Vorbild mitmachen wollten, boten sich sofort aus der Elternschaft freiwillige Helfer an, die die ganze Organisation übernahmen und auch als Kampfrichter fungierten.
Oder: als der Umzug in das zweite Schulgebäude in der Chatsworth Road bevorstand, rückte die Elternschaft an, bewaffnet mit Farbtöpfen und Pinseln, mit Besen, Schrubbern und Eimern. Eltern, Lehrer und Ehrenamtliche des Schulvereins pinselten und schrubbten für unsere Schulkinder. Und zur Einweihung kamen dann alle im Galagewand, voran der Deutsche Botschafter. Und zu trinken gab es auch.
Zu meinen liebsten Erinnerungen aber gehört der Tag im Frühjahr 1975, an dem die Botschaft ankam, dass wir nun offiziell eine genehmigte Deutsche Auslandschule geworden waren. Wir hatten die Prüfungen durch die Bundesregierung und durch die Kultusminister-Konferenz der Bundesländer bestanden. Man hatte uns in dem Anerkennungsschreiben sogar ein besonderes Lob ausgesprochen. Meine inzwischen vierköpfige Familie war bereits intensiv mit den Vorbereitungen für unsere Rückkehr nach Deutschland beschäftigt und ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass mich die frohe Botschaft noch vor unserem Abflug erreichen würde. Aber das war dann wirklich der denkbar schönste Abschluss unseres fast dreieinhalb-jährigen Lebens in Singapur.
Was meine privaten Erinnerungen betrifft, war natürlich die Geburt meines zweiten Kindes, unseres Sohnes Hendrik, der sich noch heute freut über sein Singapore-Birth-Certificate, das prägendste Erlebnis. Aber auch die Zeit davor und danach, als ich meine zweieinhalbjährige Tochter jeden Tag mit in die Schule nahm, ist unvergeßlich. Ich fuhr – schwanger, meine kleine Anja an der Hand – mit dem Bus zur Schule, natürlich ohne Aircon, das gab‘s damals noch gar nicht. Anja saß dann immer vorne im Klassenraum auf dem Fußboden und spielte, und Mutti machte Unterricht. Darum ist Anja wohl dann später auch selber Lehrerin geworden. Nach Hendrik‘s Geburt fuhr ich dann mit Anja in meinem Mini Morris zur Schule, natürlich auch ohne Aircon, aber das war dann schon eine deutliche Erleichterung.
Heute, im Alter von über 80 Jahren, erfreut mich besonders, dass wir nach so langer Zeit noch immer viele liebe Freunde in Singapur haben, die meisten aus dem ehemaligen Mitarbeiterkreis meines Mannes, von denen uns einige auch hier in Deutschland mitunter besuchen.
Waren Sie seitdem noch mehrmals in Singapur?
Ja, wir waren noch viermal in Singapur. Mein Mann und ich haben dann immer wieder die Gelegenheit wahrgenommen, auch Dieter Gumpert wieder zu treffen, der uns dann die sehr erfreuliche Entwicklung „unserer“ Schule vorgeführt hat. Unseren letzten Besuch machten wir 2018 und nahmen an den Feierlichkeiten zur Einweihung des neuen Campus der GESS teil, zu dem uns der damalige Schulleiter, Herr Zänglein, sehr freundlich eingeladen hatte. Mit großem Staunen und eben so großer Freude und Befriedigung durften wir erfahren, wie aus den kleinen Anfängen in den frühen 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts nunmehr die größte deutsche Auslandsschule Asiens geworden war.
Und das veranlasst mich nun, alle diejenigen, die so intensive Arbeit geleistet haben, um diesen Erfolg zu erringen, zum 50-jährigen Jubiläum des Schulvereins der Deutschen Europäischen Schule Singapore ganz herzlich zu grüßen und zu beglückwünschen. Und ich darf vielleicht hinzufügen: ich freue mich sehr, ganz am Anfang mit dabei gewesen zu sein.