LERNEN SIE GESS KENNEN – Unterrichten von zuhause – Ein Erfahrungsbericht

Share on facebook
Share on email
Share on whatsapp

Interview mit Martin Schmitt
Sekundarschullehrer, Deutsche Sektion

Wie haben Sie den Unterricht von zuhause während der Circuit Breaker-Phase durchgeführt?

Der Unterricht von zuhause hätte ohne entsprechende pädagogische Strategie, ein didaktisches Konzept und die digitale Technik nicht so reibungslos durchgeführt werden können.

Aus pädagogischer Sicht mussten wir die folgenden Punkte bedenken:
Auf welche Art und Weise verändert diese neue Situation die Lernbedingungen?
Welche der essenziellen Lernbedürfnisse können von den Lehrkräften unter diesen Umständen erfüllt werden?

In der Sekundarstufe folgten wir dem regulären Stundenplan und setzten zusätzlich Video-Konferenz-Funktionen ein, um zumindest eine Form von strukturierter sozialer Interaktion in Echtzeit zu ermöglichen. Didaktisch mussten wir Lernaktivitäten so gestalten, dass sie einerseits Phasen der Anleitung durch die Lehrkraft, Gruppenarbeit und Diskussionen innerhalb der ganzen Klasse beinhalteten, aber gleichzeitig auch Phasen des individuellen Lernens ermöglichten, die Transparenz bezüglich der Lernaufgaben, die Entwicklung des Kompetenzerwerbs und angemessene Aufgaben mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad aufwiesen. Aus technologischer Sicht war es hilfreich, dass digitale Lernmittel an der GESS schon so breitflächig eingesetzt und genutzt wurden.


Wie haben Sie als Lehrer den Unterricht von zuhause erlebt?

Der Unterricht von zuhause war eine sehr ungewöhnliche Erfahrung. Meine Klasse morgens um 8 Uhr online innerhalb meines eigenen Heimbüros mit einem frisch gebrühten Espresso neben mir zu treffen, war ein sehr besonderes Gefühl. Diese sehr andere Art, seinen Tag zu gestalten, erlaubte es mir vor dem Hintergrund einer globalen Pandemie, die viele Länder, Familien und Leben stark beeinträchtigt, mein seelisches Gleichgewicht zu erhalten.


Welche Methoden haben Sie eingesetzt, um das Interesse Ihrer Klasse sicherzustellen?

Wenn ich so auf die acht Wochen im April und Mai zurückblicke, in denen der Unterricht zuhause stattfand, muss ich sagen, dass mich die Disziplin der meisten Schüler und Schülerinnen sehr beeindruckt hat. Als Lehrer ab der 8. Klasse ist mir aufgefallen, dass in diesen Jahrgangsstufen der Umgang mit der digitalen Technik ,die wir an der GESS nutzen, sehr versiert ist. Zum Beispiel sind die meisten Anwendungen, die wir im normalen Unterricht nutzen, cloudbasiert, z.B. Notizbücher, Dateiablagen oder Textverarbeitungsprogramme. Die Schüler und Schülerinnen waren so in der Lage auf ihre Lernmaterialien zuzugreifen und die Lehrkräfte konnten die Ergebnisse sofort einsehen und überprüfen.  

Es war außerdem hilfreich, dass wir den regulären Stundenplan in der Sekundarstufe der Deutschen Sektion fortgeführt haben und die Nutzung der digitalen Plattformen um Videokonferenzen erweitert haben. Dadurch war es möglich, sich gemäß dem normalen Stundenplan mit den Klassen zu treffen, was dabei geholfen hat, Routinen zu festigen und das soziale Miteinander in einer Art Klassenzimmer weiter zu ermöglichen. Ich gehe davon aus, dass es für alle, die während dieser zwei Monate von zuhause am Unterricht teilgenommen haben, ein tolles Gefühl war „Guten Morgen“ in das Mikrofon des Computers zu sagen und von einem Chor von 20 Stimmen begrüßt zu werden. Die Schüler und Schülerinnen konnten sich via Videokonferenz in kleineren Gruppen treffen, um einander zu helfen, ihre Ergebnisse miteinander zu teilen oder gemeinsam an etwas zu arbeiten. Mir als Lehrer war es möglich, individuelle Schüler und Schülerinnen online anzurufen, um Aufgaben, Herausforderungen, Probleme und Ergebnisse zu besprechen. Dass das Lernen so weiterhin eine soziale Aktivität sein konnte, hat meiner Meinung nach einen großen Unterschied gemacht. Auf der Inhaltsebene wollten die Schüler und Schülerinnen wissen, wie sie diese Ausnahmesituation interpretieren können. Wissbegierig wollten sie wissen “Wie können wir die Pandemie bewältigen“, “Was können wir von früheren vergleichbaren Krisensituationen lernen?“, und “Wie werden sich unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft in Zukunft ändern?“. Diese Art von Fragen wurden im Zusammenhang mit vielen Themen unseres Lehrplans besprochen.  


Welche Herausforderungen haben Sie überrascht?

Mich hat überrascht, wie schnell die Klassen sich an die neue Lernumgebung gewöhnt haben. Eine große Herausforderung aus der Perspektive des Lehrenden war die Schwierigkeit, Lernprozesse direkt zu betreuen. Im Klassenzimmer erkennt die Lehrkraft schnell, wenn jemand Probleme mit Aufgabenstellung, Lernmaterial etc. hat. Schüler und Schülerinnen mit einem höheren Selbstbewusstsein in Bezug auf ihr Lernen versuchen zunächst die Herausforderungen selbst zu bewältigen und wenden sich an die Lehrkraft, wenn sie nicht weiterkommen. Diejenigen, die mit etwas weniger Selbstbewusstsein an Lernaktivitäten herangehen, neigen eher dazu, nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten zu schauen, um anderweitig Selbstwirksamkeit zu erleben. In diesem Fall lassen sich die Schüler und Schülerinnen eher von den Lernaktivitäten ablenken; wenn sie also anfangen miteinander über private Themen zu erzählen oder spielen, zeigt das, dass sie bei der Bearbeitung einer Aufgabe auf ein Hindernis gestoßen sind. In solchen Fällen können Lehrkräfte über Gesichtsausdrücke, Gesten etc. kommunizieren, um Schüler und Schülerinnen an die Erwartungen im Klassenzimmer zu erinnern oder um individuell bei der Bearbeitung von Aufgaben und Material zu helfen. Während des Unterrichts von zuhause ist es schwierig, diese Herausforderungen wahrzunehmen, und so ist es auch schwieriger auf die einzelnen Kinder entsprechend einzugehen und sie sofort zu unterstützen, während sie die Aufgabe bearbeiten.  


Wie haben Sie diese Herausforderungen überwunden?

In jeder Klasse und jeder Gruppe gab es eine große Anzahl an Kindern, die sich regelmäßig freiwillig gemeldet haben, um ihre Lernergebnisse in den letzten 10-20 Minuten unserer Online-Unterrichtsstunden zu präsentieren. Dieser Eifer sich freiwillig zu melden, war teilweise sogar größer im Vergleich zum regulären Unterricht, was mich sehr beeindruckt hat. Allerdings wurde offensichtlich, dass einige Schülerinnen und Schüler nach wie vor zögerlich waren ihre Ergebnisse oder Gedanken mitzuteilen. Die ängstlicheren brauchten deshalb mehr Ermutigung in dem Glauben daran, dass ihre Ergebnisse, Gedanken und Meinungen genauso zählen wie die aller anderen. Ich habe die Schülerinnen und Schüler außerdem daran erinnert, dass sie mich per Chat oder Online-Anruf stets kontaktieren können, wenn sie bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben auf ein Problem stoßen. Nach einiger Zeit habe ich angefangen, die Schülerinnen und Schüler anzurufen, die lange nichts mehr gesagt hatten. In manchen Fällen stellte sich heraus, dass das an technischen Problemen wie Störungen des Computer-Mikrofons, Headsets oder der Internetverbindung lag, die wir manchmal recht schnell lösen konnten. In anderen Fällen waren sie dankbar, dass ich mich direkt bei Ihnen meldete, um ihnen zu helfen und Ziele, Aufgaben, Material und Vorgänge noch einmal erklärte.


Was haben Sie als Lehrer aus dem Unterrichten von zuhause mitnehmen können?

Ich habe gelernt, dass die menschliche Neugier und der Wunsch zu lernen und mit anderen zusammenzuarbeiten von einer Pandemie nicht etwa gestoppt, sondern verstärkt werden. Ich habe diese Entwicklung auf vielen Ebenen erlebt: Schülerinnen und Schüler im Wirtschaftsunterricht der Klasse 10 begannen die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen vorangegangener globaler Rezessionen zu untersuchen. Im Politikunterricht der Klasse 9 wollten die Schülerinnen und Schüler lernen, welche Befugnisse Regierungen haben, um eine Gesundheitskrise zu bewältigen während sie gleichzeitig an Verfassungen und Gesetze gebunden sind. Im Ethikunterricht der Klassen 10 und 11 wurden leidenschaftlich moralische Dilemmas wie der Vertrieb medizinischer Drogen und das System der Selektierung diskutiert. Aber auch hinter den Kulissen des Unterrichts von zuhause fanden jede Menge Veränderungen statt. Die Zusammenarbeit der Lehrkräfte intensivierte sich, entweder formell in geplanten Meetings oder Konferenzen oder informell, zum Beispiel in spontanen Video-Anrufen. Die Kommunikation mit Eltern wurde noch konstruktiver und freundschaftlicher. Ich denke, dass unsere Schulgemeinschaft erkannt hat, dass wir bildlich gesprochen alle im selben Boot sitzen.


Können Sie einige unvergessliche Momente aus der Zeit des Unterrichtens von zuhause mit uns teilen?

Beruflich oder privat? Im Beruflichen werde ich mich gerne an die Begeisterung der Schülerinnen und Schüler darüber erinnern mit digital gestalteten Lernaktivitäten fortzufahren – allen Widrigkeiten zum Trotz. Ich werde mich auch an den Einsatz der pädagogischen und administrativen Leitungsteams unserer Schule erinnern, der es den Lehrkräften erleichtert hat, sich auf ihre jeweiligen Aufgaben und Funktionen zu konzentrieren. Ich werde mich an die Bemühungen der Eltern erinnern, die ihre Kinder in ihren jeweiligen Aufgaben und Aktivitäten stets unterstützt haben, wie ich im E-Mail-Kontakt und in Telefongesprächen bemerkt habe. Ich werde mich daran erinnern, dass ich alle Klasse begrüßt habe indem ich die Tage des Unterrichts von zuhause gezählt habe, wie Robinson Crusoe, der Kerben gemacht hat, um seine Tage in der Isolation zu zählen. Privat werde ich mich daran erinnern, dass ich zuhause viel gekocht habe und besonders begonnen habe, Pizzas, Quiches und Brot selber zu backen.


Was haben Sie an der Interaktion im Klassenzimmer am meisten vermisst?

Die vielen lächelnden Gesichter jeden Tag und die geplanten und ungeplanten menschlichen Begegnungen, die an einem normalen Schultag so vorkommen. Außerhalb des Unterrichts, in dem man immer weiß, wen man dort im Verlauf des Schultags treffen wird, trifft man auf dem Campus immer wieder zufällig auf andere Leute: Schülerinnen und Schüler aus früheren Klassen, Eltern, Kollegen und Kolleginnen aus anderen Abteilungen, die immer ein Lächeln für einen übrig und Zeit für eine kurze oder auch mal längere Unterhaltung haben. Auch wenn das Social Distancing mit vielen Be- und Einschränkungen nach der Wiedereröffnung im Juni fortgesetzt werden muss, habe ich mich trotzdem darüber gefreut, so viele Leute wiederzusehen, diesmal nicht auf meinem Computerbildschirm, sondern im echten Leben.

About the Author

Share on facebook
Share on email
Share on whatsapp

Suggested Articles